Warum es Hochsensiblen schwerfällt, Entscheidungen zu treffen

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(shü) Vielen Hochsensiblen fällt es schwer, Entscheidungen zu treffen. Warum ist das so? Entscheidungen treffen – das gehört doch zu unserem Leben wie Zähne putzen dazu.

Sandra Hüttenrauch, Netzwerkmitglied, Profilbild
Ein Beitrag von Sandra Hüttenrauch

In unserem Alltag begegnen wir ständig scheinbar banalen Entscheidungssituationen, wie „Was ziehe ich heute an?“, „Kaufe ich Butter oder Margarine?“, „Koche ich glutenfreie Spaghetti oder vegetarische Frikadellen?“

Tagtäglich treffen wir ca. 20.000 dieser Entscheidungen – die meisten davon laufen blitzschnell, unbewusst und emotionsbasiert ab. Immer wieder stehen wir aber auch vor weitreichenden Entscheidungen: „Welchen Beruf wähle ich?“, „Ist das der richtige Partner?“, „Sollte ich umziehen oder lieber doch nicht?“

Aber warum fühlen sich viele hochsensible Menschen so schnell blockiert, überfordert und gestresst – vor allem, wenn es um „große Entscheidungen“ geht, die einen gewissen „Sprung ins kalte Wasser“ erfordern?!

Typische Eigenarten Hochsensibler, wenn es um Entscheidungen geht

Hochsensible gehören zu den großen Denkern. Sie lieben es, sich in Themen zu vertiefen, Bücher zu wälzen, etwas dazuzulernen, verschiedene Meinungen kennen zu lernen und eine Sache vollständig zu durchdringen.

Obwohl dies als beeindruckende Fähigkeit erscheint, verlieren sie sich gerade dadurch schnell in den Gedankenspiralen des Overthinking. Wenn es um die Entscheidungsfindung geht, tragen Gedankenkreisel aber oft nicht zur Klärung, sondern zu mehr Verwirrung bei.

Zum Glück sind Hochsensible keine reinen „Kopfmenschen“.

Ihre Fähigkeiten, der Intuition zu folgen und tiefer zu empfinden als die meisten Menschen, ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Persönlichkeit. Sie nehmen meist gleichzeitig viele verschiedene, manchmal kontroverse Gefühle und Bedürfnisse wahr – die eigenen, aber auch die der anderen.

Aufgrund ihrer ausgeprägten Harmoniebedürftigkeit ist es ihnen wichtig, dass nicht nur sie, sondern auch ihre Mitmenschen gut mit der Entscheidung klarkommen.

Vor allem sollen andere keine Nachteile davontragen. So bedenken sie die gegenwärtigen Gesichtspunkte, beziehen immer aber auch Vergangenheitserfahrungen, sowie kurz-, mittel- und langfristige Auswirkungen für die Zukunft mit ein. Außerdem sind sie sich über ihre psychischen und physischen Ressourcen im Klaren (Wie viel kann ich leisten? Wann wird es mir zu viel?).

Das alles führt zu vielen komplex zusammenhängenden Komponenten, die alle in die Entscheidungsfindung einfließen.

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Entscheidungen treffen mit Metaphern

Da ich ein bilddenkender Mensch bin, vergleiche ich den Prozess der Entscheidungsfindung mit zwei Metaphern:

Manchmal scheint es so, als würde man auf einer hohen Klippe stehen, unter sich das tiefblaue, glitzernde, weite, unendliche Meer. Ein innerer Impuls sagt: „Spring! Tauche ein in lebendiges, erfrischendes Wasser, tauche ein in unbekanntes Terrain!“ Doch eine andere Stimme hält dich zurück: „Bist du lebensmüde? Es ist viel zu gefährlich! Wer weiß, wie tief das Wasser ist? Bleib da, wo du bist. Bleib dort, wo es sicher und vertraut ist.“

Eine zweite typische Metapher ist die der Weggabelung. Ich befinde mich an einer Abzweigung und weiß nicht, ob ich den rechten oder linken Weg einschlagen soll. Mein Blick versucht zu erahnen, was mich auf der jeweiligen Seite erwartet. Aber sicher kann ich es nicht sagen.

So ähnlich erging es mir vor vier Jahren. Damals musste ich entscheiden, ob ich mit meiner Familie in den Chiemgau ziehe, dort wo aussichtsreichere Arbeitsbedingungen auf mich warteten.

Wir hätten aber auch in Passau bleiben können, wo wir sozial gut eingebunden waren. Das bedeutete, meine drei Kinder zu entwurzeln, wertvolle Freundschaften und Beziehungen hinter mir zu lassen und neu zu beginnen. Es fühlte sich an, wie der oben beschriebene Sprung ins Ungewisse.

Nächtelang zerbrach ich mir den Kopf, schrieb die klassischen Pro- und Contra-Listen und war danach nicht schlauer als davor.

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8 Tipps für Hochsensible, um einfacher Entscheidungen zu treffen

Welche Methoden halfen mir in dieser Zeit? Welche gebe ich auch meinen Klienten immer wieder an die Hand?

1. Bewusstsein für Bedürfnisse entwickeln:

Ich versuchte ganz bei mir zu sein. Ich organisierte mir eine Auszeit von der Arbeit und dem Alltagsstress, um in mich hinein zu spüren: Was sind meine wesentlichen Bedürfnisse, wenn ich an Option A und Option B denke?

Laut GfK (Gewaltfreien Kommunikation) und Marshall Rosenberg trifft jeder Mensch in jeder Minute Entscheidungen aufgrund seiner erfüllten oder unerfüllten Bedürfnisse. Bedürfnisbewusstsein ist also ein wesentliches Kriterium, um gute Entscheidungen treffen zu können.

Auch in der Motivationspsychologie geht man davon aus, dass jegliche Entscheidung das Resultat folgender Abfolge darstellt: Emotion –> Bedürfnis –> Motivation –> theoretische Entscheidung –> praktische Handlung.

2. Umfeld befragen:

Ich holte mir die Meinung von mir nahestehenden Personen ein. Sie konnten die Situation aus der Beobachterperspektive sehr viel rationaler beurteilen als ich.

3. Kein Zeitdruck!

Ich ließ mich damals leider unter Zeitdruck setzen. Heute würde ich jedem raten: Schlafe so viele Nächte darüber, wie du brauchst! Ein guter Wein benötigt auch längere Reifezeit!

4. Auf eine höhere Macht vertrauen:

Wenn du gläubig bist, vertraue auf Gottes Führung. In Psalm 23, 8 spricht Er uns zu: „Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten.“

5. Fachlichen Rat einholen:

Zudem suche dir für bedeutende Entscheidungen professionelle Unterstützung bei einer Fachperson (Coaches, Berater, Psychotherapeuten, Psychologen). Ich wandte mich damals an meine Heilpraktikerin. Wir arbeiteten mit s.g. Bodenankern. Dazu sollte ich Option A auf einen Zettel schreiben und auf eine Seite im Raum legen, ebenso Option B auf die andere Raumseite. Ich stellte mich nun abwechselnd auf beide Optionen, malte mir so konkret wie möglich aus, wie mein Leben in Passau und wie mein Leben im Chiemgau in den nächsten Jahren aussehen würde.6.

6. Bodenanker-Methode

Der Körper spricht oft das aus, was wir intuitiv schon wissen, was aber noch nicht im Bewusstsein angekommen ist. Er ist ein Barometer des Herzens. Daher achte auf dein Körpergefühl:

  • Auf welchem Bodenanker fühlt sich dein Körper entspannt, lebendig und leicht an?
  • An welcher Körperstelle spürst du das?
  • Welches innere Bild kommt dir, wenn du an Option A (z.B. Chiemgau) denkst? Berge, Wasserquellen, Weite, Freiheit?
  • Mit welchen Gefühlen verbindest du dies? Vorfreude, Spannung, Aufregung …

Das gleiche wiederhole mit Option B (z. B. Passau).

7. SWOT-Methode:

Heute arbeite ich auch in meinen Coachings mit dieser sehr hilfreichen SWOT-Methode (strength, weakness, opportunities, treats). Sie ist in Tabellenform aufgebaut. Für jede der möglichen Optionen schreibe in eine Tabelle, welchen Vorteil/welche Stärke, welchen Nachteil, welche Möglichkeiten und welche Entwicklungsmöglichkeiten die jeweilige Entscheidung mit sich bringt. Diese Methode hilft dir, auf kognitiverem Weg deine Gedanken zu strukturieren.

8. Must have-, should have-, could have-Methode:

Für jede Möglichkeit überlege dir:

  • Was ist in der Situation ein absolutes MUSS?
  • Wo will ich keine Kompromisse eingehen (z. B. dass ich im Chiemgau meinem studierten Beruf nachgehen kann)?
  • Was sollte mit dieser Entscheidung verbunden sein (z. B. dass wir einen Waldkindergartenplatz für die Kinder finden)?
  • Und was könnte idealer Weise mit dieser Option verbunden sein (z. B. dass meine Eltern aufgrund der geringeren Distanz öfter zu Besuch kommen)?

Es gibt noch viele weitere hilfreiche Entscheidungs-Methoden. Wichtig ist, dass sie zu dir und deinem Typ passen.

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Fazit

Ich würde mich nicht als Entscheidungsexpertin bezeichnen, da ich bereits wesentliche Entscheidungen in meinem Leben gerne rückgängig machen würde. Doch habe ich gerade aus diesen Fehlentscheidungen gelernt.

Ich habe erkannt, wie wichtig es ist, mehr auf mein Gefühl und meine Intuition, sowie auf erste kleine Warnhinweise zu vertrauen, statt nur der Ratio zu folgen.

Ich durfte mich weiterentwickeln. Denn heute bin ich barmherziger mit mir selbst, wenn ich tatsächlich eine falsche Entscheidung getroffen habe. Ich verurteile mich nicht mehr dafür, nach dem Motto: „Wer sich die Suppe einlöffelt, muss sie auch wieder selbst auslöffeln“.

Außerdem darf ich meine Entscheidungen auch wieder ändern! Ich muss sie nicht mit Gewalt durchdrücken! Auf jeden Fall wünsche ich dir gute Entscheidungen. Und vergiss nicht:

Lass den hohen Selbstanspruch los. Du musst nicht perfekt sein, auch nicht im Entscheiden!

Manchmal braucht es weder Zeit noch die beste Methode oder die hilfreichsten Ratgeber, sondern nur ein ehrliches Lauschen auf dein Herz und ein bisschen Mut.

Sandra Hüttenrauch, Psychologische Beraterin, Diplom Religonspädagogin, Coach für Hochsensible, www.lebenskunst-huettenrauch.de, Netzwerkmitglied für 83313 Siegsdorf (D)


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