Hochsensibilität & Neurobiologie: 4 wissenschaftliche Hintergründe

Hochsensibilität & Neurobiologie: 4 wissenschaftliche Hintergründe, Grafik Gehirn

(Von Gabor Paranai) ♥ ♥ ♥ In meiner Praxis werde ich oft gefragt: Wie kann man feststellen, ob jemand hochsensibel ist? Während es keine einfache medizinische Diagnose gibt, liefert die Neurowissenschaft wertvolle Hinweise darauf, dass Hochsensibilität mehr als nur ein subjektives Empfinden ist. Es gibt also wissenschaftliche Erkenntnisse in der Neurobiologie zum Thema Hochsensibilität:

Gabor Paranai, Netzwerkmitglied
Gabor Paranai

Studien zeigen, dass hochsensible Menschen eine erhöhte Aktivität in bestimmten Gehirnregionen aufweisen, was sich in intensiverer Reizverarbeitung, gesteigerter Empathie und erhöhter sensorischer Wahrnehmung äußert.

Hochsensibilität ist ein neurologisches Phänomen, das sich durch eine besonders feine und intensive Verarbeitung von sensorischen, emotionalen und kognitiven Reizen auszeichnet.

Menschen mit Hochsensibilität nehmen oft mehr Details aus ihrer Umwelt wahr und reagieren stärker auf innere und äußere Stimuli.

Ein Beispiel dafür ist die Fähigkeit, subtile emotionale Veränderungen in einer Gruppe zu spüren oder kleinste sensorische Unterschiede wahrzunehmen, die anderen möglicherweise entgehen. Dabei spielen Synapsen, Neuronen, elektrische Signale und die neuronale Plastizität eine wesentliche Rolle.

Folgende vier neurobiologische Hintergründe sind dabei besonders zu beachten (Quellen siehe am Ende des Beitrags):

  1. Synapsen und Neurotransmitter in hochsensiblen Gehirnen
  2. Erhöhte neuronale Aktivität und Verarbeitungstiefe
  3. Elektrische Signale und neuronale Erregbarkeit
  4. Nervenzellen und ihre erhöhte Reizaufnahme

1. Synapsen und Neurotransmitter in hochsensiblen Gehirnen

Synapsen sind die Kontaktstellen zwischen Neuronen, an denen Signale in Form von elektrischen oder chemischen Impulsen weitergegeben werden. Man kann sie sich wie Brücken vorstellen, die Informationen zwischen Nervenzellen übertragen. Je nachdem, wie stark eine Brücke genutzt wird, kann sie stabiler oder empfindlicher werden – ähnlich wie Synapsen, die durch wiederholte Reize verstärkt oder abgeschwächt werden.

Studien legen nahe, dass hochsensible Menschen eine erhöhte synaptische Aktivität in bestimmten Hirnarealen aufweisen, insbesondere in Regionen, die mit Empathie, sensorischer Verarbeitung und Entscheidungsfindung verbunden sind.

  • Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin spielen eine zentrale Rolle in der Informationsverarbeitung. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass hochsensible Menschen oft eine andere Dopamin-Sensitivität aufweisen, was ihre intensive Reizverarbeitung erklären könnte.
  • Glutamat und GABA (Gamma-Aminobuttersäure) sind zwei wichtige Botenstoffe, die das Gleichgewicht zwischen Erregung und Hemmung im Nervensystem regulieren. Eine hohe Glutamat-Aktivität kann zu einer stärkeren neuronalen Erregung führen, was bei Hochsensiblen eine schnellere Reizaufnahme und -verarbeitung verursacht.
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2. Erhöhte neuronale Aktivität und Verarbeitungstiefe

Wissenschaftliche Studien, darunter funktionelle MRT-Analysen, belegen, dass hochsensible Menschen in bestimmten Hirnarealen eine verstärkte neuronale Aktivität zeigen.

Dies lässt sich insbesondere in der Insula, dem anterioren cingulären Cortex (ACC) und der Amygdala beobachten. Diese Gehirnregionen sind eng mit Empathie, sozialer Wahrnehmung und emotionaler Verarbeitung verbunden. Zudem zeigen Messungen der Gehirnwellen (EEG) eine erhöhte neuronale Erregbarkeit, was darauf hindeutet, dass hochsensible Personen Reize intensiver wahrnehmen und tiefer verarbeiten.

Hochsensible Menschen zeigen in funktionellen MRT-Studien oft eine verstärkte Aktivität in mehreren Hirnregionen:

  • Insula & anteriorer cingulärer Cortex (ACC): Diese Regionen sind für Empathie, Selbstwahrnehmung und emotionale Reaktionen verantwortlich. Hochsensible Personen haben hier eine verstärkte Konnektivität, was bedeutet, dass sie Reize intensiver verarbeiten und feinere Nuancen in sozialen Interaktionen wahrnehmen können.
  • Amygdala: Die Amygdala ist für die emotionale Bewertung von Reizen zuständig. Hochsensible Menschen können hier eine stärkere Reaktion zeigen, was ihre ausgeprägte Stresssensitivität erklären könnte.
  • Default Mode Network (DMN): Hochsensible Personen haben eine erhöhte Aktivität im DMN, das mit introspektiven Gedanken, Selbstreflexion und kreativer Verarbeitung verknüpft ist. Dies kann ihre Tendenz zu tiefen Gedankengängen und starkem inneren Erleben erklären.

3. Elektrische Signale und neuronale Erregbarkeit

Die Übertragung von Informationen im Gehirn erfolgt durch elektrische und chemische Prozesse. Hochsensible Gehirne scheinen hierbei eine stärkere Langzeitpotenzierung (LTP) zu zeigen, was bedeutet, dass synaptische Verbindungen durch wiederholte Reize schneller und stärker werden.

  • Ruhepotenzial & Aktionspotenzial: Neuronen kommunizieren über elektrische Signale, die durch Ionenaustausch an der Zellmembran entstehen. Hochsensible Menschen könnten eine niedrigere Erregungsschwelle für neuronale Aktionspotenziale haben, was bedeutet, dass ihre Nervenzellen auf geringere Reize bereits stark reagieren.
  • Myelinisierung der Nervenbahnen: Eine dichtere Myelinschicht ermöglicht eine schnellere Signalübertragung. Hochsensible Personen zeigen in manchen Studien eine erhöhte Konnektivität zwischen sensorischen und assoziativen Hirnarealen, was darauf hindeutet, dass sie Informationen schneller und umfassender verarbeiten.
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4. Nervenzellen und ihre erhöhte Reizaufnahme

Hochsensible Menschen nehmen durch ihre sensorischen Nervenzellen mehr Details aus der Umgebung auf. Dies betrifft verschiedene sensorische Modalitäten:

  • Visuelle Wahrnehmung: Hochsensible Menschen nehmen oft feinere Unterschiede in Farben, Licht und Bewegungen wahr. Die erhöhte Aktivität im primären visuellen Kortex führt zu einer intensiveren Verarbeitung von Details.
  • Auditives System: Geräusche werden oft differenzierter wahrgenommen. Studien zeigen, dass Hochsensible in lauten Umgebungen schneller reizüberflutet sind, da ihr auditorisches System mehr Frequenzen und Nuancen aufnimmt.
  • Somatosensorik & Tastsinn: Eine stärkere Aktivität in den somatosensorischen Arealen des Gehirns kann dazu führen, dass Hochsensible auf feine Berührungen, Temperaturänderungen oder Texturen empfindlicher reagieren.

Fazit: Hochsensibilität und Neurobiologie

Moderne Neurowissenschaften bestätigen, dass Hochsensibilität keine Einbildung, sondern ein messbares neurobiologisches Phänomen ist.

Die verstärkte synaptische Aktivität, eine erhöhte Empfindlichkeit für sensorische Reize und tiefere emotionale Verarbeitung sind in Gehirnscans und EEG-Messungen sichtbar.

Das Verständnis dieser Mechanismen hilft nicht nur dabei, Hochsensibilität besser zu akzeptieren, sondern ermöglicht auch gezielte Strategien, um mit den Herausforderungen umzugehen und die besonderen Stärken dieser Veranlagung bewusst einzusetzen.

Hochsensibilität ist aus neurobiologischer Sicht das Ergebnis einer fein abgestimmten, hocheffizienten und tiefgehenden neuronalen Verarbeitung. Die Kombination aus:

✅ einer stärkeren synaptischen Erregbarkeit,
✅ einer intensiven neuronalen Konnektivität,
✅ einer ausgeprägten Sensibilität für Umweltreize,

führt dazu, dass hochsensible Menschen die Welt auf eine besonders differenzierte und tiefgründige Weise erleben.
Allerdings kann diese gesteigerte neuronale Aktivität auch zu Überstimulation und schnellerer Erschöpfung führen.

Deshalb sind Strategien zur Reizregulation essenziell, um ein gesundes Gleichgewicht zu bewahren.

Hier einige bewährte Methoden:

✅ Achtsamkeitsübungen & Meditation – helfen, das Nervensystem zu beruhigen und die Wahrnehmung bewusster zu steuern.
✅ Gezielte Atemtechniken – unterstützen die Regulation des autonomen Nervensystems und reduzieren Stress.
✅ Bewegung & Naturerfahrungen – Aktivitäten wie Yoga, Spazierengehen oder Schwimmen fördern die neuronale Entspannung.
✅ Bewusster Umgang mit Reizquellen – durch den Einsatz von Noise-Cancelling-Kopfhörern, beruhigender Musik oder bewusstem Rückzug aus überreizenden Umfeldern kann das Nervensystem entlastet werden.

Hochsensible Menschen können durch diese Methoden ihre Stärken bewusst nutzen und gleichzeitig ihre Sensitivität in Einklang mit ihrem Wohlbefinden bringen.

Mit hochsensiblen Grüßen,

Gabor Paranai

Gabor Paranai, EMB®, HSP-Beratung & Coaching für Erwachsene und Kinder, www.gabor-paranai.com, Netzwerkmitglied für 93413 Cham (D)


Quellen zum Beitrag:

  • Aron, E. (1996). The Highly Sensitive Person: How to Thrive When the World Overwhelms You. New York: Broadway Books.
  • Acevedo, B. P., Aron, E. N., Aron, A., Sangster, M. D., & Collins, N. (2014). The highly sensitive brain: an fMRI study of sensory processing sensitivity and response to others’ emotions. Brain and Behavior, 4(4), 580-594.
  • Jagiellowicz, J. (2012). The relationship between the temperament trait of sensory processing sensitivity and emotional reactivity. Social Behavior and Personality, 40(10), 1641-1656.
  • Pluess, M. (2015). Individual differences in environmental sensitivity. Child Development Perspectives, 9(3), 138-143.

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