Urlaub für Hochsensible: Entspannung oder Flucht vor dem Alltag?

Urlaub für Hochsensible: Entspannung oder Flucht vor dem Alltag? Beitragsbild01

Anke Römer, Profilbild, Mitglied

(aro-db133) Besonders für hochsensible Menschen, die in einem Zyklus von langen Anspannungs- und wenigen Entspannungsphasen leben, kann durch permanente Reizüberflutung eine Überforderung drohen, bis hin zum Burnout. Dabei ist es gerade für sie essentiell, regelmäßige Ruhephasen und Pausen in ihr Leben zu integrieren. Natürlich nicht nur in Form von Urlaubstagen, sondern auch innerhalb ihres alltäglichen Lebens. Doch heute möchte ich nur den Urlaub selbst betrachten: Ist Urlaub für Hochsensible eher Entspannung oder eher Flucht aus dem Alltag?

Eine hochsensible Zeit ohne Schutzraum

Hochsensible müssen für den Urlaub ihren geschützten Bereich verlassen, sich meist auf Unbekanntes einlassen, nicht wissend, ob sie ihre Bedürfnisse entsprechend erfüllen können. Aber es kann funktionieren, wie ein Auszug des folgenden Fallbeispiels zeigt (an den echten Fall angelehnt):

Der männliche Klient, Anfang 30, kam in meine Beratung, weil er „auf der Suche nach Sinn“, nach Freude und auch Entspannung war. Dabei kam er gerade aus einem zweiwöchigen Urlaub mit einem guten Freund. Er glaubte, er habe eine „Anpassungsstörung…oder so ähnlich“, denn für ihn war die Urlaubsreise – wie immer – sehr schön und jetzt habe er das Gefühl, die Realität, das Arbeitsleben sei surreal und er fühle sich absolut nicht wohl. Das Reisen mache ihn glücklich, was er besonders dann bemerke, wenn er wiederkommt. Dann fühle er sich besonders „falsch“ im Hier und Jetzt.

Nachdem sich der Klient durch die Beratung intensiver mit dem Thema der „Hochsensitivität“ beschäftigt hatte, sprach er von einem „Aha-Erlebnis“ – seine Hochsensitivität war ihm zuvor nicht wirklich bewusst. Aus seiner Sicht „machte plötzlich alles Sinn“ – das Gefühl anders zu sein, die Ruhephasen, nach denen sein Körper verlangte, die Begebenheiten seiner Kindheit usw. Das Einzige was für ihn nicht ins Bild passte, war seine Liebe, fast schon Obsession zum Reisen. Denn hier musste er ja sein gewohntes Umfeld verlassen, seinen eigenen geschützten Bereich, den gewohnten Tagesablauf.

Doch Urlaubsreisen waren für ihn bekannte Aktivitäten. Während seiner Kindheit und Jugend, fuhr die Familie mehrmals im Jahr in den Urlaub. Für ihn waren es damals schon Auszeiten und Pausen, ja sogar Fluchten vor dem stressigen Alltag, in welchem er sich falsch und überfordert fühlte.

Nun gestaltete der Klient seine Urlaubsreisen so, dass sie für ihn genau richtig waren – er reiste nie in Gruppen, maximal mit ein oder zwei Freunden, besuchte bekannte Orte mehrmals, baute immer auch Entspannungsmöglichkeiten ein und konnte besser als in seinem Alltag, genau auf seine Bedürfnisse eingehen.

Er reflektierte, dass er Urlaubsreisen bisher intuitiv als Ruhepausen genutzt hatte, was aber im Gesamtbild seines Lebens, zur Erholung viel zu wenig war. Das Funktionieren und das Ignorieren seiner Bedürfnisse im Alltag, führte zum Ausbrechen und zur Flucht – in den nächsten Urlaub. Das war für ihn ein Teufelskreis, denn zusammengefasst verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens – in Erwartung auf eine Pause.

Urlaub für Hochsensible: Entspannung oder Flucht vor dem Alltag? Beitragsbild03

Veränderung im täglichen Leben

Wie konnte er nun eine Veränderung in seinem alltäglichen Leben erreichen? Der Klient hat ganz pragmatisch, aber auch diszipliniert sein Leben und seinen Alltag verändert, indem er vorwiegend Wochenpläne erstellte, in welche Freizeit…und zwar echte freie Zeit, eingebaut wurde. Für diese Zeiten nahm er sich nichts vor und sagte auch spontanen Terminen nicht zu.

In diesen selbst verordneten Ruhephasen fand er dann nach einiger Übung auch Entspannung, indem er die vielen Facetten seiner Wahrnehmung positiv nutzte.

Denn auch hier geht es darum, die Möglichkeiten zu sehen und anzunehmen, welche die Hochsensitivität bietet.

Urlaub für Hochsensible: Entspannung oder Flucht vor dem Alltag? Beitragsbild02

Das Positive im Urlaub

Im Urlaub nehmen wir (außer den neuen Eindrücken) eher und gerade das Positive mit allen Sinnen wahr:

  • Wir riechen die Luft des Sees oder des Meeres, den Wald, den süßlichen Duft im Eiscafé, oder das frisch gemähte Gras.
  • Wir hören Vogelgezwitscher, den Wind in den Bäumen.
  • Wir schmecken die Sommerluft.
  • Wir sehen Sonne, Himmel, Farben.
  • Wir fühlen uns wohl in unserem Urlaubsgefühl.

Und gerade wir hochsensiblen Menschen können all diese Gefühle, Stimmungen und Reize auch in unserem Alltag finden, weil gerade wir so viel aufnehmen, abspeichern und uns an viele Situationen erinnern und wieder fühlen können, wenn uns der entsprechende Reiz begegnet. Das heißt:

Diese kleinen und manchmal nur kurzen Auszeiten, wenn uns z. B. ein Duft an einen anderen Ort bringt und wir wieder dieses angenehme Gefühl haben, können zur umgehenden Entspannung beitragen.

Wenn wir es bewusst zulassen und uns darauf einlassen, dass wir diese Momente überall finden können. Vor allem in uns selbst.

Urlaub für Hochsensible: Entspannung oder Flucht vor dem Alltag? Beitragsbild04

Zusätzliche Entspannung

Man kann sich natürlich auf den Urlaub freuen, aber er ist im besten Fall keine Flucht vor dem Alltag, sondern das Sahnehäubchen, welches das Leben bereichert und uns zusätzliche Entspannung bringt.

Wir müssen in Urlaubstage nicht mehr alles abfedern, was wir uns selbst im täglichen Leben abverlangen.

Ich lade Sie ein, sich auf die Reise zu begeben, in sich hineinzuspüren und aus Ihrer ganzen Wahrnehmung, diesen Gefühlen zu begegnen, die einfach entspannen und letztlich glücklich machen.

Es lohnt sich!

Anke Römer, Fachberaterin für Hochsensibilität, Notfallseelsorgerin, zertifizierte Mediatorin und Kommunikationstrainerin
www.anke-roemer-kommunikation.de, Netzwerkmitglied für 04420 Markranstädt (D)


Hier geht es zu den Lesetipps

Ähnliche Beiträge

3 Kommentare

  1. Der Artikel zeigt sehr schön, wie wichtig es ist sich selbst im Alltag nicht zu verlieren. Dabei geht genau das leider sehr schnell. Und so gehen auch leider oft die schönen kleinen Momente unbewussten an einem vorbei und werden gar nicht richtig wahrgenommen.
    Ich kenne das Gefühl durch den Alltag zu hetzen und alle Hoffnung auf Entspannung in die vorgegebenen Urlaubstage zu legen sehr gut, wodurch die Erwartungshaltung und der Druck jedoch groß werden.
    Der Artikel inspiriert mich, mehr in mich zu gehen und meinen Alltag stressfreier zu gestalten.
    Das Beispiel verdeutlicht meiner Meinung nach sehr passend, wie der Urlaub bedürfnisorientiert gestaltet wird, diese Selbstfürsorge im Alltag jedoch verloren geht.
    Wir sollten weniger streng mit uns sein und uns kleine Auszeiten im Alltag gönnen.
    Vielen Dank für den tollen Beitrag!

  2. Axel Kühn,
    tja, ist ein sehr intensiver Beitrag, in dem ich mich zum Teil selbst wieder finde! In den werde ich mich noch mehrmals einlesen. Danke!

  3. …geh zum Coach und alles wird gut …
    Unser Problem/ Gabe ist ja gerade die allumfassende Wahrnehmung.
    Nämlich : Warteschlangen am Flughafen, gestresste Umgebung,Gestank, Stau…
    Glück findest Du nur auf der Reise nach Innen.
    Und dann kann Natur,Stille,Musik ,Sonnenuntergang etc und der URLAUB auch eine Manifestation des inneren Glücks sein.
    So oder so ähnlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert