Die körperliche Berührung bei Hochsensibilität
(aro-db183) Berührt zu werden ist für hochsensible Menschen alltäglich, zumindest, wenn die Berührung auf mentaler und psychischer Ebene passiert. Wie ist es aber, wenn es bei Hochsensibilität um eine körperliche Berührung geht?
Da die Sinneswahrnehmungen stärker ausgeprägt sind, kann man davon ausgehen, dass bei einigen hochsensiblen Menschen auch die Berührungsempfindlichkeit erhöht ist.
Die persönlichen Erfahrungen haben natürlich immer auch Einfluss auf die Berührungstoleranz. (Ich möchte hier nicht auf Ängste eingehen, die z.B. durch Missbrauchserfahrungen entstanden sind und einer therapeutischen Behandlung bedürfen.)
Ich habe mich mit folgenden Fragen beschäftigt:
- Wie können hochsensible Menschen, die eine erhöhte Berührungsempfindlichkeit bei sich bemerken, mit Berührungen umgehen, die z. B. notwendig sind, wie ärztliche oder therapeutische Behandlungen?
- Was ist mit unbewussten, flüchtigen Berührungen durch andere Menschen?
- Gibt es für berührungsempfindliche hochsensible Menschen angenehmen Körperkontakt?
- Warum spüre ich den Käfer unter dem Schuh und seinen Schmerz? (Nein das ist kein Witz!)
- Wie erträgt man einen kratzenden Pullover?
Auf letztere Frage gibt es nur eine Antwort: „Gar nicht!“.
Das Kratzen eines Kleidungsstückes spürt man den ganzen Tag und dieses Gefühl drängt sich permanent in den Vordergrund. Ähnlich ist es mit Wäscheetiketten in der Kleidung. Diese schneidet, oder besser, man trennt sie heraus.
Du musst dieses störende Empfinden nicht ertragen und lass dir nicht einreden, du bist zu empfindlich, auch nicht, wenn es nur um Klamotten geht.
Medizinisch notwendige Berührungen
Wenn aus therapeutischen bzw. medizinischen Gründen körperliche Berührungen notwendig sind, ist eine Vermeidungsstrategie meist nicht hilfreich. In diesen Situationen kann die Aussicht auf ungewollte und unkontrollierbare Berührungen, Angst machen und Stress auslösen.
Dabei kann es helfen, zuvor und währenddessen bewusst zu atmen.
Für mich funktioniert die 4 zu 6 Atmung. Das heißt, langsam bis 4 zählend durch die Nase tief in den Bauch, die Flanken und den Brustkorb atmen und langsam bis 6 zählend durch die Nase wieder ausatmen. Das beruhigt Blutdruck und Herzfrequenz und deine Konzentration liegt nicht so stark auf der Berührung. Auch beim Zahnarzt ist das möglich, da man ja durch die Nase atmet.
Hast du dabei auch schon einmal versucht, einen anderen Reiz selbst zu erzeugen?
Im Moment der Behandlung bzw. Berührung durch therapeutische Personen z.B. sich selbst zu kneifen? (Natürlich ausdrücklich keine Selbstverletzung!) Auch dabei liegt dein Fokus auf deiner eigenen Handlung.
Natürlich ist es auch wichtig, Ärzten oder Therapeuten zu sagen, was man überhaupt nicht mag oder wovor man Angst hat. Darauf können sie sich einstellen und dir vielleicht auch genau erklären, was sie tun, wenn dir das hilft.
Flüchtige und unbeabsichtigte Berührungen
Das Streifen durch eine andere Person im Vorbeigehen, kann manchmal nicht vermieden werden, oder ein zu dichtes Nebeneinandersitzen oder Stehen in der Bahn. Ein unangenehmes Gefühl erzeugt das bei einigen hochsensiblen Menschen trotzdem.
Solltest du also schon sehen, dass viele Menschen an einem Ort sind und dass es eng wird, versuche einen anderen Weg zu nehmen.
Ob beim Spaziergang, in der Stadt, in der Bahn, am Buffet – solange es dir möglich ist, einen Abstand zu halten, nutze ihn, auch wenn andere Menschen das vielleicht nicht verstehen können. Wenn in der Bahn ein Platz ohne Sitznachbarn frei ist, setz dich um. Während der Corona-Pandemie wurde ja auch auf Abstand geachtet und das fanden viele Menschen (nicht nur hochsensible) angenehm.
Musst du mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, empfiehlt es sich einen zeitlichen Puffer einzuplanen.
So kannst du, falls es dir zu voll wird, zwischendrin aussteigen, etwas laufen und eventuell dann weiterfahren. Einige hochsensible Menschen nutzen für 3 – 4 Haltestellen erst gar nicht ein (öffentliches) Verkehrsmittel, sondern laufen gleich oder nehmen das Rad.
Angenehme körperliche Berührungen
Eine Kopfmassage beim Friseur kann als wohltuend empfunden werden, ebenso physiotherapeutische Behandlungen, trotz hoher Berührungsempfindlichkeit. Liebevolle Berührungen durch Partner werden natürlich auch meist als angenehm und sehr schön wahrgenommen.
Und trotzdem kann es in bestimmten Momenten unangenehm sein, die Hand geschüttelt zu bekommen, umarmt, gestreichelt oder überhaupt berührt zu werden.
Auch von einem liebenden Menschen und auch, wenn man es unter anderen Umständen gern hat.
Eine Klientin erzählte mir von genau dieser Herausforderung: Sie schaute zusammen mit ihrem Mann einen Film auf der Couch. Beide kuschelten miteinander, was sie auch sehr schön fand. Nebenbei streichelte ihr Mann ihren Arm, was sie manchmal sehr gern mag. Aber nicht in diesem Moment. Sie versuchte sich auf den spannenden Film zu konzentrieren, was ihr nur schwer gelang, weil sich das Streicheln am Arm für sie störend und „laut“ (wie sie es bezeichnete) in den Vordergrund rückte. Um ihren Mann nicht zu verletzen, versuchte sie aber die Berührungen auszuhalten. Irgendwann konnte sie es nicht mehr ertragen und es platzte aus ihr heraus. Sie riss ihren Arm weg und sagte etwas zu laut: „Kannst du es mal lassen!“.
Für ihren Mann kam das völlig unvermittelt und er war erschrocken, verletzt und wusste nicht, was er falsch gemacht hatte. Die Stimmung des Abends war ein wenig getrübt, bis sie ihm die Situation erklärte.
Du musst nichts aushalten!
Aber du kannst kommunizieren, was du möchtest und was nicht, und zwar so, dass dein Partner oder deine Partnerin sich nicht verletzt und zurückgewiesen fühlt! Also möglichst gleich und nicht erst bei dir ein unangenehmes Gefühl entstehen lassen, was dann unvermittelt heraus muss. Vielleicht kannst du den Fokus (auch in der Kommunikation gegenüber deinem Partner) auf das legen, was in dem Moment für dich angenehm ist.
Nach der Corona-Pandemie schütteln sich viele Menschen gern wieder die Hände oder umarmen sich zu Begrüßung und Abschied. Auch wenn du es nicht magst, lässt es sich manchmal nicht verhindern, besonders wenn im beruflichen Kontext die Hand gereicht wird.
Vielleicht kannst du warten, ob dein Gegenüber dir die Hand überhaupt geben will. Du musst es ja nicht forcieren, wenn du es nicht möchtest.
Manche Menschen werden das nicht verstehen und wir hören bestimmt noch unsere Eltern oder Großeltern mit Sätzen wie: „Man gibt die Hand!“, „Das gehört sich so!“, „Sei nicht unhöflich!“
Aber auch wenn uns damit beigebracht wurde, über unsere Bedürfnisse hinwegzugehen, sollten wir jetzt auf uns achten und unser inneres Kind heilen.
Für mich versteht es sich von selbst, dass wir die Bürde, sich anfassen lassen zu müssen, weil es gesellschaftlich so erwartet wird, unseren Kindern ersparen und ihnen damit die Möglichkeit und das Recht geben, über sich selbst zu bestimmen.
Wie lange und warum spüre ich den Käfer unter meinem Schuh?
Ein Insekt – und sei es nur ganz klein – spüre ich sehr lange, auch wenn es nicht mehr da ist und auch, wenn ich den Schuh schon ausgezogen habe. Ich weiß, mit dieser Form der Berührungsempfindlichkeit, bin ich nicht die einzige hochsensible Person.
Manchmal werde ich, von normal sensitiven Menschen, als die „Prinzessin auf der Erbse“ (nach dem Märchen von Hans Christian Andersen) bezeichnet, weil ich angeblich fühle, was anderen Menschen verborgen bleibt.
Natürlich spüre ich auch einen Stein unter dem Schuh, wie wahrscheinlich die meisten Menschen, aber ist er nicht mehr da, ist auch das störende Gefühl schnell weg. Für mich ist der Unterschied, dass ein Insekt ein lebendiges Wesen ist. Ich fühle förmlich seinen Schmerz und dieses Gefühl verschwindet nicht so schnell wieder.
Das Mitgefühl ist für mich körperlich spürbar.
Auch als Kind war es für mich unerträglich zu sehen, wie andere Kinder bewusst einen Käfer oder Regenwurm zertreten haben.
Wenn ich ein Insekt unter dem Schuh spüre, versuche ich mich zu beruhigen, indem ich akzeptiere, dass das manchmal passieren kann.
Mein körperlich spürbares Mitgefühl, auch einem kleinen Insekt gegenüber, möchte ich aber nicht ablegen, egal ob andere Menschen darüber schmunzeln!
Die Art, wie wir hochsensiblen Menschen berührt werden, ist vielfältig. Es ist nicht immer unsere Entscheidung, ob wir auch berührt werden wollen.
Jedoch auf körperliche Berührungen können wir Einfluss nehmen und uns für oder gegen sie entscheiden.
Anke Römer, Fachberaterin für Hochsensibilität, zertifizierte Mediatorin und Kommunikationstrainerin, www.anke-roemer-kommunikation.de, Netzwerkmitglied für 04420 Markranstädt (D)