Ist mein Kind hochsensibel und/oder gefühlsstark?
(ehe-db169) Hochsensitivität/Hochsensibilität ist keine psychische Störung oder Krankheit, vielmehr handelt es sich um eine (großteils vererbte) Persönlichkeitseigenschaft, die bei ca. 20 – 30% der Bevölkerung auftritt. Dies gilt natürlich auch für Kinder. Vielen Eltern fragen sich daher: „Ist mein Kind hochsensibel?“
Was bedeutet Hochsensitivität, Hochsensibilität bei Kindern?
Wie bei hochsensitiven Erwachsenen ist auch bei den ebenso veranlagten Babys und Kindern ihre Wahrnehmung und Reizverarbeitung aufgrund einer besonderen neuronalen Veranlagung differenzierter und intensiver als bei den meisten anderen Menschen. Sie nehmen mehr subtile Informationen auf, denken sehr viel nach und spüren auch auf der Gefühlsebene alles viel intensiver.
Ihre Reizoffenheit und Sensibilität macht diese Kinder allerdings auch verletzlicher und schneller reizüberflutet.
Hochsensitive Babys und Kinder brauchen meist besondere Nähe und Aufmerksamkeit (anfangs oft ausschließlich durch die Mutter), um zu lernen, mit ihrer speziellen Wahrnehmungsweise selbstbewusst umzugehen. Für Eltern und ihre Bezugspersonen stellt ein hochsensibles Kind oft eine große Herausforderung dar.
Hochsensitive, hochsensible, hochreaktive Babys
Die meisten hochsensiblen Kinder können bereits als Babys von ihren Eltern oder von Fachpersonen als „anders“ oder bei entsprechendem Wissen als „hochsensitiv/hochsensibel/hochreaktiv“ erkannt werden. (Exkurs: Der Begriff „hochreaktiv“ stammt vom US-Psychologen Jerome Kagan aus Studien bei Babys zu Persönlichkeit und Bindungsverhalten. Im deutschen Sprachraum stoßen wir meistens auf die Adjektive „hochsensitiv“ und „hochsensibel“. In diesem Beitrag meinen alle drei Begriffe dasselbe und werden gemischt verwendet.)
Woran erkenne ich ein hochsensibles Baby?
(Nicht ALLE Merkmale müssen auftreten!)
- Es sucht ständig Körperkontakt und will dauernd getragen werden (- sonst schreit es).
- Es erschrickt sehr leicht.
- Es ist sehr einfühlsam.
- Es kann nach einem aufregenden Tag nur schwer einschlafen.
- Es registriert Details und plagt sich mit Veränderungen.
- Es ist schon früh merkbar, dass das Kind ein intensives Gefühlsleben hat.
- Möglicherweise lässt sich das Baby von niemandem anderen nehmen und beruhigen als von seiner Mutter (ev. auch noch vom Vater).
Besonderheiten hochsensibler Kinder im Volksschulalter:
Die meisten hochsensiblen Kinder sind eher introvertiert (ca. 30 % jedoch sind extravertiert). Unvorhergesehene Änderungen bereiten ihnen Unbehagen. Sie denken sehr viel nach, sind außergewöhnlich empathisch und stellen schon in jungen Lebensjahren tiefgründige Fragen. Sie sind sehr sinnlich und reagieren oft empfindlich auf taktile Reize, laute Geräusche oder bestimmte Gerüche.
Viele hochsensitive Kinder sind perfektionistisch veranlagt und Ungerechtigkeiten sind für sie schwer auszuhalten.
Mögliche Reaktionen auf Reizüberflutung:
- Tobsuchtsanfälle oder Wutausbrüche, manchmal auch Widerstand oder aggressives Verhalten.
- Sie versuchen, keinen Ärger zu machen, in der Hoffnung, so nicht bemerkt oder überfordert zu werden.
- Sie werden still und ziehen sich zurück.
- Rückzug in Fantasie oder virtuelle Welten.
- Perfektionismus und Streben nach herausragenden Leistungen (auch, um mutmaßliche Defizite zu kompensieren).
- Bauch- und/oder Kopfschmerzen.
- Schüchternheit, Ängstlichkeit.
Mögliche Fehl- und Doppeldiagnosen:
Zahlreiche Kennzeichen und Verhaltensweisen hochsensibler Kinder können Symptomen ähneln, die zu Fehlgutachten führen können.
Bei hochsensitiven Kindern wird z. B. fälschlicherweise oft ADS (= die hypoaktive „stille“ Form des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms) oder ADHS (= die hyperaktive Form des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms) diagnostiziert.
Weitere immer wieder fälschlicherweise diagnostizierte Störungen sind Autismus, Angststörungen und Verhaltensstörungen; im Jugend- und Erwachsenenalter dann mitunter auch Depressionen, Emotionale Instabilität, Süchte und Zwangsstörungen.
Grundsätzlich können hochsensible Kinder und Erwachsene natürlich unter allen psychischen Erkrankungen leiden wie andere Menschen auch und es gibt immer wieder berechtigte „Doppeldiagnosen“.
Oftmals verschwinden die psychischen Symptome bei Hochsensitiven jedoch dann, wenn sie lernen, mit sich und ihrer Hochsensitivität gut umzugehen und sich ein Umfeld zu schaffen, in dem sie auf ihre ganz individuelle Weise „wachsen und gedeihen“ können.
Insbesondere hier zeigt sich, welch große Verantwortung Eltern und Bezugspersonen in der Begleitung hochsensibler Kinder zukommt.
Was versteht man unter „gefühlsstarken“ Kindern?
Der Begriff „gefühlsstarke Kinder“ wurde in den letzten Jahren von der Journalistin Nora Imlau geprägt, die 2018 den Bestseller „So viel Freude, so viel Wut“ im Kösel-Verlag herausgegeben hat. Die Autorin selbst erwähnt den Begriff „Hochsensitivität“ in ihrem Buch nicht, jedoch beschreibt sie gefühlsstarke Kinder als meist sehr sensibel.
Aus der Erfahrung in meiner psychotherapeutischen Praxis reagieren hochsensible Kinder manchmal dann „gefühlsstark“, wenn sie überreizt sind und noch nicht gelernt haben, mit ihren starken Emotionen umzugehen.
Gefühlsstarke Kinder zeichnen sich durch eine bestimmte Kombination einiger Temperamentsmerkmale aus. Ihr Aktivitätsgrad ist sehr hoch, sie sind sehr stark in ihren Emotionen und Ausdrucksweisen und diese Kinder haben meist große Probleme, sich selbst zu regulieren. Oft sind sie auch leicht ablenkbar und es fällt ihnen schwer, sich an ein wechselndes Umfeld anzupassen. Je ausgeprägter diese Eigenschaften sind, desto schwieriger ist der Umgang mit einem gefühlsstarken hochsensiblen Kind (– je nachdem, wie gut sich das häusliche und schulische Umfeld darauf einstellen können).
Wichtig ist, einem gefühlsstarken Kind zu helfen, wie es lernen kann, seine Gefühle regulieren zu lernen und diesen auf angemessene Art und Weise Ausdruck zu verleihen.
Wie kann ich (m)ein hochsensibles Kind bestmöglich unterstützen?
🙂 Lassen Sie es sein wie es ist! (Ihr Kind ist vollkommen ok!)
🙂 Üben Sie sich in Geduld! (Vieles dauert mit einem hochsensitiven Kind länger.)
🙂 Achten Sie auf Struktur (räumlich, zeitlich, organisatorisch)!
🙂 Finden Sie eine Balance zwischen „Schützen“ und „Stupsen“! (Hochsensible Kinder brauchen Verständnis für ihre Zurückhaltung sowie Ermutigung zu neuen Erfahrungen gleichermaßen.)
Elisabeth Heller, Dipl. Sozialpädagogin und Psychotherapeutin (Psychotherapie und Elternberatung), Netzwerkmitglied für 2340 Mödling (A), www.elisabeth-heller.at
Literaturtipps:
- Aron, Elaine: Das hochsensible Kind; mvg Verlag, 2004
- Aron, Elaine: Hochsensible Eltern; mvg Verlag, 2020
- Imlau, N.: So viel Freude, so viel Wut; Kösel-Verlag, 2018
Meine Lieblingsbücher für hochsensitive Kinder:
- Hanke-Basfeld, Magdalene: Philipp zähmt den Grübelgeier. Festland Verlag, 2015
- Heine, Hannah-Marie, Schulmeyer, Heribert: Tausendfühler Lars – Eine Geschichte über Hochsensibilität. Balance Verlag, 2019